Unser Leben im Algorithmus
Die meisten von uns nutzen soziale Netzwerke in privater und beruflicher Hinsicht um aktuelle Informationen (Twitter) zu erhalten, sein berufliches Netzwerk zu pflegen (Linkedin), mit Freunden und Familie im Austausch zu bleiben (Facebook) oder um als Influencer wirksam zu werden (Instagram). Die jüngeren tummeln sich auf TikTok, die Nerdigen auf 9Gag, der Möglichkeiten sind viele.
Was mich immer fasziniert, ist der in jeder Plattform implementierte Auswahlprozess (=Algorithmus), der uns aus den endlosen Informationen die herausfiltert, die wir dann zur Kenntnis nehmen. Da unsere Aufnahmefähigkeit begrenzt ist, muss ein lernfähiger Algorithmus unsere Vorlieben und Leidenschaften erkennen, filtern, priorisieren und den Newsfeed entsprechend steuern. Hier hat jede Plattform ihren eigenen Algorithmus, dem wir in weitem Masse ausgeliefert sind. Der aber Folgen hat, welche Informationen wir aufnehmen, in welcher Form und mit welchem Blickwinkel wir die Welt sehen sollen, welche Werbung wir serviert bekommen. Danach richten wir unseren Meinungsbildungsprozess aus, unser Wahl- und Kaufverhalten wird damit getriggert und viele Dinge mehr, die wir nicht beeinflussen können.
Der Algorithmus ist das Herzstück jedes sozialen Netzwerks und wird vom Eigentümer geheim gehalten. Die letzten Senatsanhörungen von Marc Zuckerberg (FB, Insta, etc.) und Jack Dorsey (Twitter) haben vor allem die Hilflosigkeit der Gesetzgeber im Angesicht algorithmischer Entscheidungen vor Augen geführt.
Wenn man nicht weiss, wie und warum ein Algorithmus entscheidet, wenn der Algorithmus intransparent bleibt, ist man blind. Wenn man eine ungefähre Ahnung entwickeln möchte, wie man selbst beeinflusst wird, kann man das z.B. für Twitter tun. Hier steht seit einigen Wochen mit chirpty.com ein interessantes Programmier-Projekt zur Verfügung, mit dem man zumindest einige Zusammenhänge des eigenen Twitterfeeds visualisieren und besser verstehen kann.
Chirpty ist eine Webanwendung die über die Twitter-API verfügbare Daten ausliest. Dazu muss man nicht einloggt sein oder Genehmigungen zur Nutzung erteilen. Es reicht aus, die Accounteinstellung auf public zu setzen. Wenn jemand für seinen Twitter-Account die Einstellung gewählt hat, kann das grundsätzlich jeder auch mit einem fremden Konto machen. Die Twitter-API macht es möglich. Mehr Details lassen sich auf dem Blog der Programmierer nachlesen.
Für die Auswertung werden keine DMs sondern likes, replies oder retweets berücksichtigt. Basierend auf diesen gewichteten Interaktionen (Like: 1.0, Reply: 1.1, Retweet: 1.3) wird eine Grafik erzeugt, das die Benutzeraccounts anzeigt, mit denen man am häufigsten auf Twitter interagiert.
Auch wenn es sich dabei um eine sehr rudimentäre Sicht auf die Gesamtheit aller Twitter-Interaktionen bezieht, ist bereits erkennbar, in welchem Ausmass persönlichen Daten verwertbar gesammelt werden, wie diese interpretiert werden können und wie interpretierbar man selbst wird. Das anhand der vorhandenen Datenquoten das Konsum- und Wahlverhalten, persönliche Interessen, Religion, Sexualität usw. erkennbar sind, sollte uns nachdenklich halten. Anhand der Erkenntnisse kann man einen Eindruck bekommen, wie sich die persönliche Bubble ungefähr zusammensetzt und wie wir beeinflusst werden können. Für mich ein Argument mehr für meine Meinung: Macht Algorithmen transparent! Wir brauchen dringend ein gesetzliches Regulativ und Bewertungsmechanismen!